Mobilität & Shopping — Wie beeinflussen sich Personen- und Güterverkehr?

Das Thema Shopping ist mit all seinen Auswirkungen auf Mobilität und Logistik allgegenwärtig. Und im Zuge der Digitalisierung und natürlich auch aufgrund der Pandemie steht der stationäre Einzelhandel auf dem Prüfstand. Der Onlinehandel wird als Schreckgespenst und Segensbringer gleichzeitig wahrgenommen. Es entwickeln sich neue Handelskonzepte und Zwischenhändler werden aus der Vertriebskette eliminiert. Statt uns fahren jetzt unsere Waren spazieren und werden uns vor die Haustüre geliefert. Das bedeutet mehr Lieferfahrzeuge in der Stadt und weniger Individualverkehr.

Gehen Servicequalität und Lebensqualität miteinander einher? Wie schaffen wir es die Mobilität von Gütern und Personen in all ihren Ausprägungen und unterschiedlichen Funktionen integrativ zu vereinen? Führt uns die Zukunft damit in die Vergangenheit oder bringt die Digitalisierung die Antwort auf alle Fragen? Wie beeinflussen sich Personen- und Güterverkehr vor allem auch in den Zeiten der Pandemie?

Das offene Wissens- und Netzwerk-Ökosystem Community creates Mobility bringt mobilitätsaffine Personen aus Unternehmen, dem öffentlichen Sektor, der Wisschenschaft und der Zivilgesellschaft zusammen, um gemeinsam an herausfordernden Mobilitätsfragen zu arbeiten und über aktuelle Entwicklungen zu diskutieren. Auch unsere erste digitale Learning Journey in diesem Jahr am 28.1.2021 beschäftigte sich mit den oben gestellten Fragen und es konnten hochkarätige Speaker*innen dafür gewonnen werden, die den Teilnehmer*innen Einblicke in die aktuellen Herausforderungen der Praktiker*innen, in aktuelle Forschungsprojekte und die Arbeit innovativer Startups gewährten.

Zu Beginn gab Rainer Will vom Handelsverband Österreich einen Einblick in die Veränderungen im Handel und im Kaufverhalten der Österreicher*innen. In seinem Vortrag bezeichnete er die Corona Krise als den Urknall der Digitalisierung in der Handelsbranche und den Start eines globalen “Amazon-Förderprogramms”. Der heimische Handel hat in der Covid-19 Krise stark gelitten. Es gibt enorme Umsatzeinbußen und 50% der Händler haben massive Existenzängste. Der e-Commerce hingegen verzeichnete einen Zuwachs von 17,1% im Jahr 2020. Vor allem im Online-Lebensmittelhandel erkennt man, dass nicht nur die Big-Player zulegen, sondern auch regionale Alternativen und Initiativen wie zum Beispiel Markta stark gewonnen haben. Das zeigt, dass sich Digitalisierung und Regionalität nicht ausschließen sondern sogar verstärken und der Trend der Konsument*innen zur nachhaltigen und krisenresilienten Beschaffung wahrnehmbar ist.

Im Anschluss an den umfangreichen Einblick in die schwierige Situation des Handels präsentierte Jonathan Mayer die Ergebnisse seiner Diplomarbeit, in deren Rahmen er sich mit Emissionen in der Handelslogistik beschäftigte und wie man diese reduzieren kann. Der Wachstum des Onlinehandels wirft die Fragen auf, ob Online-Bestellungen klimaschädlicher sind als der Einkauf im stationären Handel und was dieser Anstieg für die Gesamtemissionen bedeutet. Vergleicht man urbane Gebiete mit ländlichen Gebieten, ist die Kundendichte ein wichtiger Hebel in Bezug auf Emissionen. Der Onlinehandel verursacht im ländlichen Raum weniger Emissionen als der stationäre Handel, da bei letzterem die Distanzen meist mit dem eigenen Auto zurückgelegt werden. Im urbanen Bereich lassen die höhere Kunden- und Filialdichte und die kürzeren Transportwege den stationären Handel jedoch besser abschneiden. Die spannendsten Ergebnisse waren, dass über 50% der gesamten Transportemissionen im Onlinehandel auf die “Last-Mile” entfallen. Wenn also die Emissionen im Handel reduziert werden sollen, muss die Zustellung auf der letzten Meile optimiert werden.

Marc Sarmiento von der Österreichischen Post AG ging in seinem Vortrag auf das sich verändernde Konsumverhalten der Bevölkerung ein und präsentierte aktuelle Zahlen der Paketmengen vom Jahr 2008 bis zum Jahr 2025. Das Paketvolumen der Österreichischen Post AG hat sich seit 2008 vervierfacht, von 41 Mio. Paketen zu 165 Mio. Paketen im Jahr 2020. Im Jahr 2020 stieg das Volumen auch aufgrund der COVID-19 Pandemie signifikant an, womit eine Wachstumsrate von 30% festgestellt wurde. Prognostiziert man die Paketmengen der österreichischen Post für 2025 mit einer Wachstumsrate von 15–30%, so wäre man im Jahr 2025 bei ungefähr 330–500 Mio. Paketen. Es konnten Spitzen im Rahmen der Lockdowns und zu Weihnachten festgestellt werden. Es liegt jedoch die Vermutung nahe, dass, wenn es keine Ausgangs- und Mobilitätsbeschränkungen geben würde, die Bevölkerung wieder vermehrt den stationären Handel nutzen würde. Die Personenmobilität und die damit verbundenen Einschränkungen hatten jedoch sichtlich Einfluss auf die Gütermobilität. Die Frage, die sich hier stellt, ist: Wie nachhaltig wird sich das Bestellverhalten nach der Pandemie verändern?

Als nächsten Speaker durften wir den KEP-Spezialisten aus Hamburg Horst Manner-Romberg von M-R-U begrüßen. In seinem Vortrag präsentierte er die Learnings der MRU in Bezug auf Stadtplanung und den oft unterschätzten Zusammenhang mit Personen- und Güterverkehr. Er veranschaulicht mit Renderings aus der Planung, verglichen mit aktuellen Bildern aus Hamburg und Wien, den Gap zwischen Wunsch und Realität. Mittels der sogenannten “Logistik-Uhr” konnte die Problematik einer Wahrnehmungsverzerrung in Bezug auf den gesamten Lieferverkehr in städtischen Gebieten aufgezeigt werden. Auf die Bevölkerung eines Stadtteils kommen demnach nicht nur Paket- und Lieferdienste, sondern der gesamte Wirtschaftsverkehr für Supermärkte, Apotheken, KFZ-Werkstätten, Gastrobetriebe, etc., der oft unbeachtet bleibt und enormen Einfluss auf die Verkehrssituation hat. Um auf die sich verändernden Rahmenbedingungen (z.B. Urbanisierung, verändertes Einkaufsverhalten, zunehmender Individualverkehr, etc.) reagieren zu können, braucht es neue Lösungskonzepte für die letzte Meile. Es gibt schon zahlreiche neue Citylogistik-Konzepte, die leider erst rudimentär angewendet werden. Dieser Problematik soll mit einer Stufenlösung entgegengewirkt werden. Eine schonungslose Ist-Analyse eines Planungsgebiets unter Einbezug aller Stakeholder, Betriebe, Investoren und der Logistik ist Voraussetzung ein Lösungsdesign zu erarbeiten und erfolgreich umzusetzen.

Im Anschluss teilte Mario Mayerthaler mit der Community aktuelle Insights zu Bewegungsdaten der Bevölkerung von Invenium Data Insights und Latest News zu den Paketstationen von A1. Invenium Data Insights ist eine Tochter der A1 Telekom Austria Group und tracked anonym und datenschutzkonform Bewegungsdaten von Menschen auf Basis von Mobilfunkdaten. In den Aufzeichnungen und Analysen der Bewegungsdaten sind eindeutig die Auswirkungen der Lockdowns auf die Mobilität der Bevölkerung erkennbar. Auch klar ersichtlich ist, dass der erste Lockdown zu stärkeren Mobilitätseinschränkungen führte als der zweite oder dritte Lockdown. Vergleicht man die Kurve der Bewegungsdaten mit den Zahlen der COVID-19 Fälle in Österreich, so sieht man auch hier einen eindeutigen Zusammenhang. Mit den offenen A1 Paketstationen wurde ein System geschaffen, bei dem rund um die Uhr Pakete von Kurier- und Expressdiensten, lokalen Unternehmen und auch Privatpersonen kontaktlos hinterlegt und entgegengenommen werden können. Damit wird dem Trend des stark wachsenden Onlinehandels Rechnung getragen.

Die nächste Speakerin Miriam Olof ist im Bereich der betrieblichen Planung der Wiener Linien tätig und stellte der Community das Forschungsprojekt RemiHub vor, an dem die Wiener Linien gemeinsam mit tbw-researchTU Wien und Heavy Pedals beteiligt sind. Das Projekt zielt darauf ab, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Lieferungen auf der letzten Meile in der Stadt mit Lastenrädern bewältigbar sind. Die Wiener Linien haben als städtische Dienstleister zahlreiche Flächen innerhalb des Stadtgebiets (z.B. Remisen, Busgaragen, U-Bahn-Bahnhöfe, Werkstätten, Flächen unter U-Bahntrassen), die als temporäre oder dauerhafte Paket-Hubs genutzt werden können, um von dort aus die letzte Meile emissionsfrei zu gestalten. Das erarbeitete Konzept fand großen Anklang und wurde bereits ab 2019 gemeinsam mit DPD und Heavy Pedals im Rahmen von drei Testläufen unter Realbedingungen getestet. Beim Testbetrieb im 16. Wiener Gemeindebezirk wurden durch die hohe Stoppdichte, sowie aufgrund zahlreicher Einbahnen die für Fahrräder frei sind, die ökologischen Vorteile und auch die Effizienz der Zustellung mit dem Lastenrad unter Beweis gestellt.

Last but not least stellte Konstantin Mautner-Lassnig die Arbeiten des Startups ARTI vor. Das Startup beschäftigt sich mit Autonomous Delivery Vehicles (ADV). Die reale Welt, der Outdoorbereich, stellt für autonome Lieferroboter vielseitige Herausforderungen dar. Die Umgebung muss ständig neu gescannt und ausgewertet werden und durch komplexe Algorithmen Entscheidungen getroffen werden. Neben 3D Umweltwahrnehmung, Streckenplanung und dem Erkennen von menschlichem Verhalten bestehen auch Regulierungen, die die Effizienz der Roboter reduzieren können. Trotz der Automatisierung muss aktuell noch ein Mensch (Operator) in schwierigen Situationen oder unbekannten Orten einspringen. Ziel des Startups ist jedoch eine 100%ige Automatisierung.

Ganz im Sinne des offenen Wissens-Ökosystems wurde das digitale Event aufgezeichnet. Sämtliche Inhalte und Kontaktdaten sind hier zu finden: https://drive.google.com/drive/folders/1CebVPL9ak4iiWcMY6VZcWQzsWX8CXaL-

Mobilität gemeinsam gestalten 
Eine Bewegung, um Mobilität nachhaltig zu verändern.