Buch-Artikel des Monats: Upgegradet auf „Jugendlich“

“Unsere Mobilität der Zukunft” ist das neue Buch von “Community creates Mobility”. Über 15 Co-Autor:innen blicken mit fiktionalen Geschichten in die Zukunft und beschreiben, wie sie die Mobilität zum Beispiel im Jahr 2035 erleben wollen. Jedes Monat präsentieren wir eine Geschichten aus dem gemeinsam gestalteten Buch. Dieser wird auch im Railnet in den ÖBB Zügen veröffentlicht.

Buch-Artikel des Monats:

Upgegradet auf „Jugendlich“ von Tibor Jermendy

Location: Großraum der Stadt Graz

Zukunftsvision: Autonome On-Demand Shuttles haben in der Zukunft den Individualverkehr weitgehend abgelöst. Verschiedene Anbieter konkurrieren über Qualitätsstandards ähnlich wie heute Handytarifanbieter.

Mia zählt seit einem Monat die Tage herunter bis zu ihrem 16. Geburtstag. Heute ist es so weit. Endlich 16! Sie ist glücklich. Nicht nur, weil sie sich dann ein klein wenig erwachsener fühlt. Auch weil ihr Mobilitätspass endlich auf den Status „Jugendlich“ upgegradet wird. Den Mobilitätspass – das wohl beste Geschenk ihrer Eltern „ever“ – nutzt sie ja schon seit Jahren, besonders oft fährt sie mit den Shuttle-Pods. Das sind vier- bis achtsitzige autonom fahrende Kleinbusse. Sie bringen sie verlässlich zum Sporttraining, zur Schule oder zu Freundinnen. Die Wartezeiten sind kurz, im Großraum von Graz, wo Mia wohnt, sind mehrere Hundert Pods unterwegs. Betrieben werden die jeweiligen Pod-Flotten von drei Firmen: der internationalen Plattform Uber, der in ganz Europa tätigen Multimodalgenossenschaft obb, das ist Mias Anbieter, und vibemovesyou, die vor Langem als eAuto-Abofirma gestartet war. 

Mia durfte bis heute nur mit Einschränkungen den Mobilitätspass verwenden, bis 21 Uhr, nur 3 Kilometer in der Umgebung und nicht für Partys und Konzerte. Das ist nun mit 16 Jahren vorbei. Jetzt darf sie endlich bis Mitternacht ausbleiben – und es werden Konzert-Locations in ihrer Zielauswahl freigeschaltet. Zudem wurde ihr Fahrtkontingent auf Flatrate upgegradet – Mobil sein, soviel sie will.

Am nächsten Wochenende probiert sie den neuen Pass gleich aus. Ihre Lieblingsband „The Masterminds“ gibt ein Hybridkonzert in der Stadt Graz. Sie hat die Band schon mehrfach live gesehen, aber eben nur über ihre Virtual-Reality-Brille, wie es für unter 16-Jährige vorgesehen ist. Für Mia und ihre beiden Freundinnen Claudia und Jaqueline geht ein lang ersehnter Wunsch in Erfüllung. Das erste große reale Livekonzert, und noch dazu von ihrer Lieblingsband!

Über ihr Smartphone öffnet Mia die Webpage der Veranstaltung und bucht ihr Konzertticket. Nach der Bezahlung meldet sich ihr Smartphone und bietet ihr gleich die passende Shuttle-Pod-Verbindung an, um zur Location und wieder retour zu fahren.

Illustration: Openai.com Dall-e: Shuttle Pod

Mia liebt diese Shuttle-Pods, da die Fahrten immer persönlich gestaltet werden. So wird beim Einsteigen bereits ihre Lieblingsplaylist gespielt – diesmal weiß sie schon genau, was sie zur Einstimmung hören möchte.

Am Samstag, dem Konzerttag, um 19.00 Uhr piepst ihr Smartphone, dass ihr Shuttle-Pod um 19.30 Uhr vor der Tür stehen wird. Sie verabschiedet sich von ihren Eltern und sprintet voller Vorfreude aus dem Haus. Der elektrisch betriebene Shuttle-Pod wartet bereits. Sie steigt ein und aus der Anlage ertönt der aktuelle Hit der Masterminds. Nur vier Stopps noch bis zur Location, da steigen ihre Freundinnen Claudia und Jaqueline zu – der Shuttle-Pod bündelt natürlich die Fahrten ihrer Freunde.

Das Konzert ist großartig – alle Hits werden gespielt. Und live ist halt wirklich nochmal besser. Der aufkommende Wind passt genau zur Stimmung. Irgendwie ist alles wild und Mia fühlt sich so richtig frei – wie es mit 16 sein soll.

Nach dem Konzert kaufen Mia und ihre Freundinnen noch T-Shirts mit Bandlogo und Tourdaten, dann piepst auch schon ihr Smartphone: Ihr Shuttle-Pod nach Hause ist im Anrollen. Die drei Mädchen steigen ein und erleben nochmals die tollsten Momente des Konzerts nach. Die Innenwände inklusive Fenster sind mit Videotapete überzogen und erlauben so ein 3D-Erlebnis des Konzertfeeds aus der Sicht der Frontsängerin. Aber Mia stoppt den Feed – sie will jetzt nur mit Claudia und Jaqueline plaudern und aufgeregt alle Erlebnisse des heutigen Abends besprechen. Was die drei nicht ahnen: Es wird heute noch eine weitere Aufregung geben.

Der Wind hat sich zu einem kleinen Sommersturm entwickelt und sogar im Shuttle-Pod am Weg nach Hause spürt man die Böen. Auf einer kleinen, kurvigen Nebenstraße, die von einer Baumreihe begleitet wird, passiert es dann. Ein dicker Ast, sicherlich zwei Meter lang, bricht unter der Windlast, kracht auf den Shuttle-Pod und bleibt direkt vor den Fronträdern des notbremsenden Pods liegen. Die Jugendlichen kreischen und wissen nicht, was passiert ist. Sofort meldet sich der Pod-Assistent: „Alles ist in Ordnung, wir haben einen kleinen Unfall, es besteht keine Gefahr. Bitte verhalten Sie sich ruhig und bleiben Sie angeschnallt, zur Sicherheit bleiben die Türen geschlossen. Wie ich sehe, hat sich niemand verletzt – stimmt das?“ 

Außer einem Schreck haben Mia, Claudia und Jaqueline tatsächlich nichts abbekommen. Was sie nicht sehen: Aus dem Heck des Pods steigen zwei kleine Drohnen mit Minirotoren auf. Sie scannen die Blechschäden am Dach, senden die Daten an die Zentrale des Pod-Betreibers. Dann fliegen sie sofort 300 Meter vor und hinter den Pod, um die kurvige Straße als schwebende rote Lichtsignale abzusperren. Die Information über den Unfall wird in Echtzeit an alle naheliegenden Pods übermittelt.

Im Pod meldet sich Frau Kater, die diensthabende Operatorin von obb, über die Videowand: „Hallo Kinder – alles okay?“ „Ja, denke schon, was war los?“, fragt Mia besorgt. „Ein Ast ist auf den Pod gefallen – außer Blechbeulen kein Schaden. Jetzt liegt der Ast vor euch auf der Straße. Die KI hat die Weiterfahrt freigeben, aber ich wollte vorher mit euch sprechen. Übrigens, eure Eltern sind informiert und in diesem Call zugeschaltet.“ Die Bilder der Eltern werden eingeblendet. Mias Vater Peter hat die wildeste Frisur von allen, er war schon fest eingeschlafen. Nach dem aufgeregten Austausch von „Uns geht es gut“ und „Gott sei Dank ist nicht mehr passiert“ mutet Frau Kater alle Sprechenden. „Ich schlage vor, ich overrule die KI. Ihr könntet gefahrlos rund um den Ast gesteuert werden und weiterfahren, aber ich sende euch trotzdem einen anderen Pod.“ Frau Kater hat nämlich im Betreiberverbundsystem das automatische Angebot bekommen, dass ein achtsitziger Pod von vibemovesyou, der in der Nähe fährt, einen kleinen Umweg macht und die drei aufnimmt. 

Fünf Minuten später parkt mit vier Zentimetern Abstand der zweite Pod seitlich neben Mias Fahrzeug. Die Türen gehen auf und die Kids können sicher umsteigen. Die Freude ist groß, im Pod sind Markus und Tom, Schulfreunde von Mia, Claudia und Jaqueline – was für ein Zufall! Sie waren auch auf dem Konzert und sind jetzt am Heimweg. Auf der Fahrt zu der jeweiligen Wohnung der Kids hören die fünf nochmals die Zugabe des Konzerts im Feed. 

Alle kommen später als geplant in ihrem Zuhause an, auch wenn das Rerouting der Pod-Betreiber das Beste aus der Situation macht. Als Mia kurz vor Mitternacht ihren Eltern nochmals alles genau erzählt, sagt sie abschließend mit strahlendem Gesicht: „Der heutige Abend war das aufregendste Upgrade auf Jugendlich ‚ever‘!“

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