Buch-Artikel des Monats: Die nächste Generation

“Unsere Mobilität der Zukunft” ist das neue Buch von “Community creates Mobility”. Über 15 Co-Autor:innen blicken mit fiktionalen Geschichten in die Zukunft und beschreiben, wie sie die Mobilität zum Beispiel im Jahr 2035 erleben wollen. Jedes Monat präsentieren wir eine Geschichten aus dem gemeinsam gestalteten Buch. Dieser wird auch im Railnet in den ÖBB Zügen veröffentlicht.

Buch-Artikel des Monats:

„Die nächste Generation“ von Silvia Lacher

„Und, was wirst du mit deiner neu gewonnenen Freiheit anfangen?“ Elliot zuckt nur ratlos mit den Schultern. Mit einem Lächeln komplimentiert er die letzten Gäste durch die Tür.

Auf einmal lassen nur die zahlreichen leeren Gläser und zerknüllten Servietten erahnen, dass gerade eben noch ausgelassen gefeiert wurde. Eine Pensionierung ist 2102 eben ein seltenes Ereignis. Aber Elliot fühlt sich mit 80 Jahren bereit, als Geschäftsführer des Familienunternehmens in den Ruhestand zu gehen.

Die Augen fallen ihm schon fast zu, als er die Lichter in der ehemaligen Werkstatthalle abdreht. Sein Blick streift die alten Maschinen, mit denen seine Eltern und deren Eltern davor Autos der gesamten Region reparierten. Er ist froh, diese stummen Zeitzeugen vor der Verschrottung bewahrt zu haben. Vor einer Maschine hält er an – seine DUPLEXAlpha1000. Ohne sie würde kein Unternehmen existieren, das er bald seiner Tochter zur Gänze übergeben wird.

Es war 2038, sein letztes Lehrjahr bei seinem Vater. Bald sollte er als Junior tatkräftig die Geschäfte der Autowerkstatt voranbringen. Um sich schon jetzt unter Beweis zu stellen, reiste er ganz alleine auf eine Messe in den Hightech-Hub Nairobi.

Als er durch die Hallen schlenderte, zog ihn ein Aussteller im letzten Eck des Geländes wie magisch an. Denn dieser Messestand sah ganz anders aus als die anderen: Er glich einem filigranen Baumhaus, gebaut aus hauchdünnen, wabenförmigen Elementen.

„Unsere Fertigungstechnik produziert ein Material, das 200-mal stärker als Stahl ist, aber nur wenige Nanometer dick und somit extrem leicht“, verstrickt ihn die Ausstellerin offensiv in ein Verkaufsgespräch. „Es braucht nur unseren 3-D-Drucker, und schon lässt sich von einem Löffel bis zu einem Flugzeugteil alles produzieren.“ Und ehe er es sich versehen konnte, hatte Elliot einen Kaufvertrag unterschrieben – für die DUPLEXAlpha1000.

Wieder in der Heimat zurück, geriet das Gerät im Trubel des Arbeitsalltags schnell in Vergessenheit und fristete ein einsames Dasein im letzten dunklen Eck des Lagerraumes. Bis zum großen Blackout 2042. Dieser machte die halbe Erdkugel handlungsunfähig – mit gravierenden Auswirkungen auf die Lieferkette der Autoindustrie.

Während die Städte diese Gelegenheit nutzten, um auch die letzten Autos aus den Außenbezirken zu verbannen, wussten die Menschen im ländlichen Raum nicht, wie sie von A nach B kommen sollten. Vor allem Pendler, ältere Menschen und Familien traf es hart, die meistens eher reparaturanfälligere Modelle besaßen. Die Autowerkstatt musste viele Anfragen ablehnen und verzweifelte Menschen wieder wegschicken.

Illustration von Katja Berger

Auf der Suche nach letzten Ersatzteilen stieß Elliot in den Tiefen des Lagerraums wieder auf seine DUPLEXAlpha1000. Unberührt stand sie da. Es schien, als wartete sie nur darauf, zum Einsatz zu kommen.

Und so begann Elliot zu experimentieren. Und hatte Erfolg: Schon bald konnte er am laufenden Band die unterschiedlichsten Ersatzteile vom Keilriemen bis zur Autotür produzieren – und sie waren auch noch leichter und senkten somit den Spritverbrauch nachhaltig. Auch das Material konnte er optimieren und aus alten Autoteilen gewinnen, die somit restlos recycelt wurden. Schnell konnten sie sich vor Aufträgen nicht mehr retten und bestellten Maschine um Maschine nach, um der Nachfrage gerecht zu werden.

So wurde die ehemals traditionelle Autowerkstatt zum Vorreiter einer neuen Generation Autos, die mit den neuen Ersatzteilen eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten vorweisen konnten. Elliots Tochter entwickelte Jahre später sogar ein eigenes Automodell, dass mit dieser Drucktechnik zu 100 Prozent in der Region hergestellt wurde, gänzlich unabhängig von Importen. Und noch heute bekommen sie regelmäßig Preise als größter Ausbilder eines komplett neuen Lehrberufes: Mechatronik-Drucktechniker:in. Diese DUPLEXAlpha1000 hat ihn auf eine spannende Reise geschickt. Doch genauso wie Elliot hat sie ihre Aufgabe erfüllt – und kann jetzt getrost für die nächste Generation Platz machen. 

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Hier findest du mehr Informationen: www.mobility.community/community-book 

Community creates Mobility ist ein offenes Netzwerk mit der Vision, ein gesamtheitliches Verständnis von einer wünschenswerten und nachhaltigen Zukunft der Mobilität zu erlangen. Erfahre mehr und sei selbst Teil: www.mobility.community

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